Der Schmerz der anderen
Ein Kind ist gestorben - sagt sie. Doch: Wo sind die Beweise? Und was bedeutet das für all jene, die (auch) um ihre Sternenkinder trauern?
“Moin Frau Dittrich, ich hab Ihren ntv-Artikel "Der Fall Kim Virginia" gelesen. Dabei teile ich Ihre Auffassung, dass Prominenz verfügbar und banal geworden ist. Aber mit dem Artikel haben Sie halt auch genau dieser Entwicklung Vorschub geleistet. Ich wusste bisher nicht, wer gemeint ist. Das passende Zitat aus dem Englischen: ‘Stop making stupid people famous!’"
(Leserkommentar auf meine ntv-Promikolumne, 04.07.2025)
Ohne Umschweife: Damit hat der Leser vollkommen Recht. Und tatsächlich ist das ein gewisses Dilemma, weil man einerseits weiß, dass man diesem Thema keine Plattform mehr geben sollte, andererseits aber auch - gerade jetzt - aufzeigen möchte, wie wichtig es ist, hier kritisch zu hinterfragen.
Ursprünglich wollte ich nicht darüber schreiben. Nicht, weil das Thema nicht bedeutsam wäre - im Gegenteil! Aber Leser, die mir auf Substack folgen, wissen, dass ich hier vor allem über Themen schreiben möchte, die weniger mit Trash und Gossip zu tun haben.
Ich möchte vorab von merkwürdigen Dingen berichten, die sich seit einigen Tagen ereignen. Irgendetwas stimmt auch hier nicht! Es sind etliche anonyme Fake-Profile, die mich kontaktieren und es scheint mir, dass es hinter den Kulissen einige Grabenkämpfe gibt.
Ich hatte es ja bereits an anderer Stelle geschrieben: Es ist eine schmutzige Branche. Eine, in der es um Reichweite, Klicks und auch mutmaßlich um jede Menge Kohle geht. Und weil heutzutage niemandem mehr etwas heilig scheint, meinen die Leute, dank KI und ChatGPT Journalisten zu sein und klöppeln pro Minute gefühlt zehn Artikel über die Causa Kim. Dabei ist der Fall schon lange kein Gossip mehr, sondern - das kann man ruhig so sagen - ein Phänomen, das viel über den Zustand unserer Gesellschaft aussagt.
Frauen, die ihr Kind (auch) verloren haben, schreiben mir, die gefühlt „never ending story“ der Frau H. fühle sich für sie „wie ein Stich ins Herz“ an, und dass, obschon ihre eigenen Erfahrungen teils Jahrzehnte zurückliegen.
Um es einmal in aller Deutlichkeit zu sagen: Selbst, wenn diese Geschichte wahr ist, ist sie ein Skandal.
Denn, was hier geschieht, ist für viele so verletzend, dass man den Fokus, wie ich finde, einmal weg von der Influencerin auf all jene richten sollte, die in dieser Gesellschaft oft unsichtbar sind: Eltern eines Sternenkindes.
Doch selbst während ich diese Zeilen schreibe, hadere ich nach wie vor mit mir, ob ich diesen Text überhaupt publizieren soll, denn gefühlt spricht die ganze Online Community seit Monaten über nichts anderes. Und es sieht alles ganz danach aus, als würde sich das auch nicht so schnell ändern.
Die Geschichte vom “kranken Menschen”
Kim Virginia Hartung reiste, wie bereits hinlänglich bekannt, Anfang Juni gemeinsam mit ihrem Partner Nikola Glumac aus ihrer Wahlheimat Dubai nach Deutschland. Doch das war nur ein Zwischenstopp, denn das eigentliche Ziel der Reise war Serbien. Glumac plante wohl, dort seine Familie zu besuchen und Hartung sollte zwei Tage später folgen, da sie zuvor, wie es hieß, private Termine in Deutschland wahrnehmen müsse.
Ab jetzt wird es kryptisch. In einer Instagram-Story berichtete die Influencerin davon, Opfer eines körperlichen Angriffs geworden zu sein und dass sie sich im Krankenhaus befinde. Sie bat um Verständnis, sich zu diesem Zeitpunkt nicht konkret äußern zu können, aber sobald sie dazu in der Lage sei, würde sie alles erklären. Doch die vollständige Aufklärung erfolgte bis heute nicht!
Nikola Glumac, der tagelang wortlos blieb, äußerte sich gut zwei Wochen später schriftlich mit einem Instagram-Post, in dem er verriet, dass Kim Virginia Hartung das gemeinsame Kind still geboren hätte. Plötzlich hieß es sogar, die Community trage am Tod des Kindes eine Mitschuld. Von Hass und Hetze war die Rede. Knapp zwei Stunden später veröffentlichte auch Hartung ein Statement. Sie schrieb, dass ein “kranker Mensch” ihr in den Magen getreten und sie daraufhin eine stille Geburt hatte. So weit, so dramatisch.
Wir halten fest: Laut Kim Virginia Hartung wurde sie in Deutschland Opfer einer schweren Gewalttat, die zur Folge hatte, dass ihr Kind zu Tode kam. Es passierte also eine wirklich schreckliche Straftat.
Man kann diese Fragen nur immer wieder stellen: Was ist mit dem mutmaßlichen Täter? Wurde er gefasst und verhaftet? Was ist mit dem toten Baby passiert? Fand eine Obduktion des Kindes statt, damit bewiesen werden kann, dass der Angreifer Schuld am Tod des Kindes hat?
Trauer ist privat und Schmerz ist, wie wir alle wissen, etwas Individuelles. Mir haben aber inzwischen so viele Mütter geschrieben. Und ich möchte, das zumindest ist der Versuch dieses Textes, den Fokus auf sie lenken. Denn sie sind oft unsichtbar und ungehört. Nicht jede Frau, die ein Kind verliert, möchte (öffentlich) darüber sprechen. Niemand verlangt das.
Aber wer diese Geschichte selbst öffentlich gemacht hat, wer Werbepartner ins Boot holt, Rabattcodes dazwischen schaltet und mit einem derart sensiblen Thema Reichweite generiert, trägt Verantwortung. Und die lässt sich nicht einfach abschütteln, wenn Nachfragen nicht genehm sind!
Was an diesem Fall so wütend und fassungslos macht, ist nicht allein der Verdacht, dass hier mutmaßlich etwas inszeniert wurde, was eventuell nie stattgefunden hat. Es ist der Umgang mit dem Thema an sich: Hartungs kurzweilige Darstellung als trauernde Mutter, ohne jedes belegbare Dokument. Arztbrief, Anzeige, Kripo, Obduktion: nichts. Nur Andeutungen.
Zu einem Instagram-Beitrag der freien Redakteurin, meiner Buch-Co-Autorin Nicole Morgenstern schrieb jemand einen langen Kommentar. Es ist der Kommentar eines Mannes, der etwas durchlebt hat, was Kim Virginia vorgibt, durchlebt zu haben. Ein Vater, der zwei Sternenkinder betrauert. Er schildert, wie seine Frau nach dem zweiten Verlust stationär aufgenommen werden musste, wie sie monatelang nicht sprechen konnte. Wie er selbst nie gelernt hat, mit diesem Schmerz umzugehen. Und wie hilflos er sich fühlte, als seine Frau im Kreißsaal lag, wissend, dass ihr Kind nicht überleben wird. Zweimal.
„Meine Frau wird niemals heilen. Und auch ich als Mann habe Gefühle, die ich hier niederschreiben möchte“, schreibt er. Und weiter: „Diese Geschichte muss zur Gänze lückenlos aufgeklärt werden.“
Der Kommentar geht, wie so viele von Eltern, die eine stille Geburt zu beklagen haben, nahe. Der Verlust eines Kindes ist nichts, mit dem man spielt. Nicht für Klicks, schon gar nicht für Aufmerksamkeit! Ich habe inzwischen Hunderte Kommentare wie diese von Sternenkind-Eltern gelesen.
Alles an dieser Geschichte ist, wie ich bereits in meiner Kolumne schrieb, nebulös. Und als wäre das nicht genug, schreibt Kim Virginia Hartung am 7. Juli 2025 in ihrer Instagram-Story:
„Dann mal ran an die Buletten. Ich möchte wieder in Höchstform kommen und mich einfach in meinem Körper wieder wohlfühlen. Die Reise kann beginnen.“
Verlinkt ist das Ganze mit einem Artikel eines Boulevard-Mediums mit dem Titel: „Neuanfang: Kim Virginia und Nicola stellen Ernährung um“
Dabei hätte Kim Virginia Hartung eine wichtige Stimme sein können!
Eine, die dieses unsichtbare Thema - stille Geburten, verlorene Kinder - sichtbar macht. Eine, die für Aufklärung sorgt, für Verständnis und vor allem: für Mitgefühl! Sie hätte für Betroffene sprechen können. Stattdessen hat sie ihre Geschichte auf eine große Bühne gehoben, die sie abbaut, als wäre nichts geschehen. Man geht zur Tagesordnung über. All das ändert aber nichts daran, dass die Fragen bleiben. Und sie werden mit jedem Tag lauter.
Denn es geht hier schon lange nicht mehr um eine mutmaßliche Lüge. Es geht um den Schmerz von Sternenkind-Eltern! Um all die Mütter und Väter, die berichten, wie es ist, ein Kind zu verlieren. Die schreiben, wie sie Monate oder Jahre brauchten, um überhaupt wieder atmen zu können. Die davon berichten, wie wenig Platz der eigene Schmerz hatte und wie schnell man in dieser Gesellschaft wieder funktionieren muss.
Väter, die sagen: „Ich war früher der Meinung, dass Frauen das schwächere Geschlecht sind. Heute weiß ich, dass meine Frau die stärkste Person ist, die ich je gesehen habe.“
Mütter, die nach einer stillen Geburt lange nicht mehr schlafen konnten. Die ihr Kind gesehen, gehalten und beerdigt haben. Und die bis heute mit dem erlebten Trauma kämpfen.
Wenn Kim Virginias Geschichte nicht stimmt, und vieles spricht dafür, dass zentrale Elemente zumindest massiv übertrieben wurden, dann ist das mehr als die Lüge einer Influencerin. Dann ist das der Versuch, aus Leid Kapital zu schlagen. Und das wäre zutiefst schäbig. Denn es weckt das Misstrauen gegenüber jenen Eltern, die so etwas Schlimmes (auch) erlebt haben. Die sich rechtfertigen müssen für ihre Trauer und für ihr „Nicht-loslassen-Können“.
Was sollen Betroffene denken, wenn es heißt: ‘Kim Virginia ist das auch passiert. Und sie kommt klar.’ Sie geht schon wieder „ran an die Buletten”. Heißt das dann: ‘Stell dich nicht so an!’?
Vielleicht wird diese Geschichte nie ganz aufgeklärt. Aber es ist wichtig, sie kritisch zu hinterfragen und jenen eine Stimme zu geben, deren Schmerz in keine Insta-Story passt. Es ist (auch) der Schmerz der anderen, der Sternenkind-Eltern. Und er verdient einen würdigen Umgang!
Trotz der Wut vieler Menschen, die ich verstehen kann, möchte ich an dieser Stelle folgende Hypothese aufstellen: Stellen Sie sich vor, jemand krakeelt Nichtigkeiten ins Internet und alle, die es hören, beschließen, die Ohren auf Durchzug zu schalten.
Für die verlorenen Kinder.
(Transparenz-Hinweis: An das Management von KVH erging am So., 6. Juli, 18:36 Uhr eine Presseanfrage mit Bitte um Antwort bis Mi, den 9. Juli 2025)
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