Es beginnt wie eine Geschichte, die zu Tränen rührt, Mitgefühl auslöst, Beklommenheit und vor allem: tiefe Traurigkeit. Eine junge Frau verliert ihr Kind - angeblich durch einen “Tritt in den Magen”. Was für Wahnsinn! Wer war das? Wie konnte das nur passieren? Hat ihr niemand geholfen? Und: Was sagt die Polizei?
Die junge Frau zieht sich zurück, postet eine kryptische Story, redet von Schmerz und Hass im Netz und bittet um Verständnis. Dann geht ihr Ex-Freund, selbst Influencer, an die Öffentlichkeit und spricht von einer “stillen Geburt”. Von Internet-Hetze. Und von der Mitverantwortung der Follower. Es sind große Worte und noch größere Vorwürfe, aber: Wo sind die Beweise? Und damit lieber Leser: Willkommen im Universum von Kim Virginia Hartung. Jenem Story-Zirkus, an dem Tragödien öffentlich geschehen. Natürlich, wie sich das gehört, gerne auch mit einem Countdown.
Man weiß irgendwann gar nicht mehr so genau, was überhaupt zuerst war: der Schwangerschaftstest, die Kooperationen oder der angebliche Autounfall? Die Gender-Reveal-Party ohne Gäste oder der “Blähbauch”? Die “stille Geburt” oder der Vorfall am Flughafen? Bei Kim Virginia verschwimmt das alles. Zufall? Mitnichten. Strategie? Sie sagt natürlich: auf keinen Fall.
Doch wir müssen bei all dem Wahnsinn eines festhalten: Das, was hier inszeniert wird, ist kein privates Drama. Es ist ein peinliches Social-Media-Spektakel in Dauerschleife. Andeutungen, Eskalationen, Pausen und Comebacks. Wie so ein Telenovela-Drehbuch, das immer dann ein neues Kapitel aufschlägt, wenn das vorige nicht mehr richtig klickt oder zündet. Kim Virginia spielt sich darin selbst. Als Verlobte, Verlassene, Schwangere, als Opfer eines Angriffs! Als Trauernde, als trotzige Influencerin als eine, die bald über alles reden will. Ganz wichtig: Nie den Rabattcode vergessen, Freunde der gepflegten Unterhaltung!
Man könnte jetzt sagen, okay, diese Insta-Soap ist ein schlechter Witz. Wäre nur die ganze Thematik nicht so sensibel! Eine Schwangerschaft. Ein toter Fötus. Ein Angriff, der ganz offensichtlich weder belegt noch polizeilich erfasst wurde. Dazu ein Täter, der nirgends auftaucht. Ermittelt die Polizei? Gab es eine Anzeige? Stattdessen: zig Storys, Widersprüche und ständige Unklarheit. Alles, was man in der echten Welt klären würde, wird hier offen gelassen. Absichtlich? Schließlich generiert nichts mehr Interaktion als ein ewiger Cliffhanger!
War sie überhaupt schwanger? Niemand weiß es. Babybauch? Mal da, mal Blähbauch. Medikamente wie Iberogast Classic, die man in der Schwangerschaft nicht nehmen sollte? Wurden gezeigt. Weltreise? Geplant. Dann Autounfall. Dann Dubai. Dann wieder Australien. Zwischendurch ein Countdown mit Glöckchen und Bärchen. Dann: Stille Geburt.
Man kann das alles glauben. Muss man aber nicht.
Und genau hier liegt das Problem: Wer mit so einer Geschichte Reichweite generiert, spielt nicht nur mit seinen Followern, sondern mit einem sehr ernsten Thema. Vor allem aber tritt man all jenen Frauen ins Gesicht, die einen solch schweren Verlust auch erleben mussten!
Kim Virginia aber inszeniert dieses erschreckende Ereignis wie eine Episode aus “GZSZ”. Mit privaten Stories, in denen sie sich widerspricht. Mal war das ungeborene Kind schon seit Wochen tot, mal habe sie sich nicht getraut, darüber zu reden, weil der Hass zu groß sei. Mal wird Nikola zum Helden erklärt, dann wieder zur persona non grata, die ohne Einwilligung intime Infos veröffentlicht. In der nächsten Story spricht sie von einer “kranken Person”, die ihr “in den Magen getreten” habe. Aber ohne Polizei, ohne Anzeige, ohne Folgen. Ein Gewaltverbrechen! Ist es belegt?
Warum bleiben so viele am Ball? Warum wächst ihre Reichweite so rasant an? Und was sagt das über unsere Medienlandschaft, wenn diese Geschichte im Boulevard aufgegriffen wird, ohne kritisch hinterfragt zu werden?
Es geht hier ja längst nicht mehr nur um ein persönliches Schicksal. Es geht um Klicks, Kapital und Kontrolle über die Erzählung. Kim Virginia hat gelernt, dass jedes Drama direkt in Follower-Zuwachs umgewandelt werden kann. Und das funktioniert verdammt gut. Eine Million Abonnenten. Ihr Profil ist auf privat gestellt. Alles schön exklusiv - als sei das die neue Währung. Jeder, der ihr folgt, unterstützt das System.
Dabei gäbe es doch nur eine einfache Frage, die alles klären könnte: Wo ist der Beleg? Ein Mutterpass, ein Arztbrief, ein polizeiliches Ermittlungsverfahren? Nichts davon liegt vor. Dafür aber jede Menge Theatralik, Selbstinszenierung und vorproduzierte Werbestorys. Hallo? Es geht hier um einen furchtbaren Schicksalsschlag!
Das alles wäre vielleicht einfach nur absurd, wenn es nicht so viele Frauen gäbe, die wirklich leiden. Die ein Kind verlieren. Die schwanger sind und sich nicht trauen, es zu erzählen. Die sich zurückziehen, weil die Sorge zu groß ist. Und die dann zusehen müssen, wie eine Influencerin ihren Followern eine Schwangerschaft als Insta-Drama verkauft. Ohne jegliche Würde.
Was bleibt, ist eine dreckige Branche! Vielleicht war ja alles wahr. Vielleicht war es ein Albtraum. Vielleicht war es gar nichts.
Aber eines ist sicher: Wer mit dem Verlust eines Kindes für sich wirbt, sollte zumindest erklären können, was wirklich geschehen ist. Und wer das nicht macht, sollte sich nicht wundern, wenn man ihm nichts mehr glaubt.
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